AG München weist mit bedenklicher Begründung eine Schadensersatzklage auf Erstattung von Sachverständigenkosten für sachverständige Stellungnahmen nach Kürzungen durch die Allianz Vers. AG mit Urteil vom 5.4.2017 – 336 C 20606/16 – ab.

AG München weist mit bedenklicher Begründung eine Schadensersatzklage auf Erstattung von Sachverständigenkosten für sachverständige Stellungnahmen nach Kürzungen durch die Allianz Vers. AG mit Urteil vom 5.4.2017 – 336 C 20606/16 – ab.

Hallo verehrte Captain-Huk-Leserschaft,

nach der Entscheidung des AG Hamburg, die Babelfisch gestern eingestellt hatte, stellen wir Euch hier und heute noch ein Urteil mit bedenklicher Begründung vor. Es handelt sich um eine Entscheidung  des AG München zur Ersatzfähigkeit der Sachverständigenkosten für eine ergänzende Stellungnahme nach Kürzung durch die Allianz Versicherung AG im Rahmen der fiktiven Abrechnung sowie zur Reparaturbestätigung. Nach Ansicht des Gerichts sind die Kürzungen der Versicherer bei der fiktiven Abrechnung Rechtsfragen, für die es keiner sachverständigen Stellungnahme mehr bedarf. Der Anwalt habe die entsprechenden Recherchen bei den Werkstätten durchzuführen. Auch Einwendungen gegen die Wertminderung sowie zur Beilackierung seien kein Grund für eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen. Das alles sei Sache des Rechtsanwalts. Diese Ansicht ist in Anbetracht der vielzähligen gerichtlich veranlaßten Gutachten sehr bedenklich. Sofern die Fragen der Schadenkürzungen und Kürzungen der Wertminderung etc. Sachen ausschließlich von Juristen zu beantworten seien, dann braucht das Gericht ja künftig auch kein gerichtliches Gutachten mehr einzuholen für die Kürzungspamphlete der Versicherer, oder? Wie sieht es aber in der Praxis aus? Genau das Gegenteil ist der Fall. Bei jeder unbedeutenden Frage werden kostenaufwändige Gutachten in Auftrag gegeben, weil sich das Gericht selbst nicht in der Lage sieht, die Sache zu beurteilen. Aber am Gericht und am Richtertisch sitzen doch auch Juristen. Da werden sogar Beschlüsse zur Sachverständigenbeauftragung bei Rechtsfragen erstellt. Kosten dafür sind völlig egal. Den Rechtsanwälten traut man offensichtlich mehr Sachkompetenz zu als den Richtern, so scheint es zumindest das Amtsgericht München zu sehen. Lest selbst dieses bedenkliche Urteil und gebt dann bitte Eure sachlichen Kommentare ab.

Viele Grüße und einen schönen Sonntag.
Willi Wacker

Amtsgericht München

Az.: 336 C 20606/16

IM NAMEN DES VOLKES

In dem Rechtsstreit

– Kläger –

gegen

Allianz Versicherungs-Aktiengesellschaft, vertreten durch d. Vorstand, Königinstraße 28, 80802 München

– Beklagte –

wegen Schadensersatz

erlässt das Amtsgericht München durch die Richterin am Amtsgericht W. am 05.04.2017 aufgrund des Sachstands vom 14.02.2017 ohne mündliche Verhandlung gemäß § 495a ZPO folgendes

Endurteil

(abgekürzt nach § 313a Abs. 1 ZPO)

1.        Die Klage wird abgewiesen.

2.        Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3.        Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 436,50 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen weiteren Schadensersatzanspruch in Höhe von 436,50 €.

Unstreitig haftet die Beklagte für die Schäden aus einem Verkehrunfall vom 16.03.2015 in München.

Streitig war allein, ob noch ausstehende Sachverständigenkosten von 416,50 € und die Kosten für eine Reparaturbestätigung in Höhe von 20,00 € erstattungsfähig sind oder nicht.

Vorgerichtliches Ergänzungsgutachten

Die Kosten für ein Sachverständigengutachten können zu den nach § 249 BGB ersatzfähigen Schäden zählen, was sich danach bemisst, ob ein verständig und wirtschaftlich denkender Geschädigter nach seinen Erkenntnissen und Möglichkeiten die Einschätzung eines Sachverständigen ex ante für geboten erachten durfte (vgl. allg. BGH, NJW 2005, 356 m.w.N.).

Nach der Rechtsprechung des BGH besteht ein prozessualer Kostenerstattungsanspruch auf Ersatz von Kosten eines Privatsachverständigen, wenn eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die Kosten auslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich ansehen durfte. Das ist insbesondere der Fall, wenn die Partei bei Beauftragung des Sachverständigen aus ihrer Sicht infolge fehlender Sachkenntnisse ohne die Hilfe ihres Sachverständigen nicht zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage war (vgl. BGH, NJW 2012, 1370; vgl. auch BGH, NJW 2013, 1823). Diese Grundsätze können für die Frage der Erstattungsfähigkeit von vorgerichtlichen Kosten eines Privatsachverständigen nach § 249 BGB entsprechend herangezogen werden. Denn es ist anerkannt, dass der Geschädigte sich nicht erst im Prozess sachverständiger Hilfe bedienen, sondern bereits vorgerichtlich ein Schadensgutachten einholen darf, damit er seinen erlittenen Kfz-Schaden auf dieser Grundlage beziffern und gegebenenfalls erfolgreich gerichtlich geltend machen kann (vgl. BGH, NJW-RR 1989, 953 723; LG Saarbrücken, NJW-RR 2013, 275; NJW-RR 2013, 1365). Vorprozessual besteht gleichermaßen wie während des Prozesses ein berechtigtes Interesse des Geschädigten, einen Sachverständigen heranzuziehen, wenn er ansonsten nicht in der Lage ist, seinen Schaden sachgerecht darlegen zu können.

Erhebt der Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer bereits vorgerichtlich technische Einwendungen gegen das vom Geschädigten eingeholte Schadensgutachten, deren Berechtigung der Geschädigte auf Grund fehlender Sachkenntnis nicht abschließend beurteilen kann, darf der Geschädigte grundsätzlich die Einholung eines Ergänzungsgutachtens seines Sachverständigen zur Auseinandersetzung mit den erhobenen Einwendungen für sachdienlich halten (LG Saarbrücken, NJW-RR 2015, 721). Das berechtigte Vertrauen des Geschädigten in die Richtigkeit der Schadensfeststellungen seines Sachverständigen ist nämlich auf Grund der entgegenstehenden technischen Einwendungen des Schädigers oder dessen Haftpflichtversicherers so weit erschüttert, dass es dem Geschädigten – auch aus Gründen der Waffengleichheit (vgl. hierzu OLG Stuttgart, NJW 1974, 951) – nicht zuzumuten ist, auf dieser Grundlage seinen Schaden geltend zu machen. Um sachgerecht vortragen zu können und den erlittenen Schaden verbindlich zu beziffern und gegebenenfalls durchzusetzen, darf der Geschädigte demnach unter diesen Umständen eine weitere Beauftragung seines Sachverständigen für erforderlich und zweckmäßig erachten (im Ergebnis ebenso OLG Hamm, DAR 1987, 83 = BeckRS 2008,16267; LG Frankfurt a. M., Urt. v. 3.4.2012 – 2-31 O 1/11, BeckRS 2013, 09586; Vuia, NJW 2013, 1197, 1198). Dies gilt auch, weil der Geschädigte in einer solchen Situation davon ausgehen darf, mit Hilfe einer ergänzenden Stellungnahme seines Sachverständigen zur (technischen) Klärung des Sachverhalts bereits im Vorfeld eines Prozesses beitragen und so – auch im Sinne einer wirtschaftlich sinnvollen Vorgehensweise – auf eine nicht streitige Erledigung hinwirken zu können (LG Saarbrücken, NJW-RR 2015, 721).

Danach durfte der – anwaltlich beratene – Kläger vorliegend die Einholung eines Ergänzungsgutachtens seines Sachverständigen nach § 249 BGB nicht für erforderlich halten.  Die beklagtenseits vorgenommenen Abzüge betrafen die Positionen Beilackierung, Wertminderung und Stundenverrechnungssätze. Hierbei handelt es sich um Positionen, die üblicherweise seitens des Schädigers bzw. dessen Versicherung im Rahmen der Schadensregulierung eingewandt werden und seit Jahren Gegenstand einer Vielzahl von gerichtlichen Verfahren sind. Die eingehende Auseinandersetzung des Privatsachverständigen mit den Voraussetzungen einer Verweisung auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung waren nicht erforderlich, da es sich insoweit um keine technische Frage handelt. Der anwaltlich beratene Kläger wäre insoweit auch ohne erneute Hinzuziehung seines Sachverständigen ohne Weiteres zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage gewesen. Es war dem anwaltlichen vertretenen Kläger auch zumutbar, entsprechende Nachforschungen (z.B. durch ein Telefonat) beim aufgezeigten Referenzbetrieb selbst zu tätigen. Die Hinzuziehung eines Sachverständigen bedurfte es insofern nicht. Bei der Frage der Berechnung der Wertminderung handelt es sich um eine Frage des Ermittlungsweges und nicht um einen technischen Einwand. Sofern die Beklagte Einwendungen die Beilackierung betreffend erhoben hat, mag es sich zwar um technische Einwendungen handeln. Nachdem es sich aber um eine standardmäßig verwandte Einwendung handelt, die als solche auch der anwaltlich vertretenen Kläger hätte erkennen können, war auch insofern die ergänzende Stellungnahme des Privatsachverständigen nicht erforderlich. Zumal, wie die umfangreichen Ausführungen des Privatsachverständigen zeigen, es sich um allgemeine, vom konkreten Sachverhalt losgelöste Ausführungen zum Thema Beilackierung und deren rechtliche Behandlung durch die ober- und untergerichtliche Rechtsprechung handelt.

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Beklagte im Folgenden eine weitere Regulierung vorgenommen hat.

Reparaturbestätigung

Die Reparaturbestätigungskosten erachtet das Gericht als nicht erstattungsfähig, da diese nicht zu dem nach § 249 Abs. 2 BGB erforderlichen Wiederherstellungsaufwand des Geschädigten zählen.

„Ein Geschädigter, der sich entscheidet, die Reparatur nicht in einer Fachwerkstatt durchführen zu lassen und stattdessen fiktiv abzurechnen, tut dies, weil er einen Vorteil daraus zieht, die Reparaturkosten auf Abrechnungsbasis einerseits ersetzt zu erhalten, den Betrag aber andererseits nicht in dieser Höhe zu verwenden, entweder weil der Schaden gar nicht, selbst oder kostengünstiger repariert wird. Damit hat sich der Geschädigte bewusst für einen Weg entschieden, der ihm regelmäßig einen finanziellen Vorteil bringt. Diesem Vorteil steht allerdings der Nachteil gegenüber, dass er in den meisten Fällen keine Reparaturrechnung oder Bestätigung erhält, die nachweist, in welchem Umfang und ob tatsächlich fachmännisch repariert wurde. Da dies aber die zwingende Folge der Entscheidung des Geschädigten, fiktiv abzurechnen, ist, muss er sich auch in dieser Hinsicht an seiner Entscheidung festhalten lassen und die Folgen tragen, dass ihn – im Hinblick auf die HIS-Datei – ggf. eine Nachweispflicht einer fachgerechten Reparatur – auf seine Kosten – trifft.“ (zitiert nach LG Stuttgart, SVR 2017,111).

Hinzu kommt, dass vorliegend nach Ansicht des Gerichts auch Bedenken gegen den Aussagewert der Reparaturbestätigung bestehen. Die vorliegende Reparaturbestätigung erschöpft sich in der Aussage, dass das Fahrzeug „in repariertem Zustand vorgefahren ist“. Es sind keinerlei Aussagen über die Qualität, den Umfang, den Reparaturweg mit den einzelnen Arbeitsschritten noch über die Reparaturdauer getroffen. Zudem genügt nach herrschender Rechtsprechung für die Zu-erkennung eines Anspruchs auf Nutzungsausfallentschädigung allein der Nachweis durch eine Reparaturbestätigung eines Sachverständigen, wie sie dem Gericht vorliegt und aus der lediglich hervorgeht, dass das Fahrzeug repariert worden ist, nicht (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 6.9.2016 – I-9 U 118/15; Saarländisches OLG, Urt. v. 16.10.2014 – 4 U 145/13 (zu Vorhaltekosten); OLG München DAR 2014, 30 f.; OLG Frankfurt/M. NZV 2010, 525; LG Düsseldorf SP 2012, 293; AG Nürnberg ZfS 2016, 443; AG Düsseldorf, Urt. v. 29.2.2016 – 41 C 2598/14; AG Eschweiler, Urt. v. 18.3.2016 – 21 C 193/15; AG Bünde SP 2004, 376 f.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.

Urteilsliste “SV-Honorar” zum Download >>>>>

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Spamschutz-Feld * Time limit is exhausted. Please reload CAPTCHA.