BGH – VI ZR 201/10 vom 29.11.2011 – Nur wenn ein Haftpflichtversicherer mitverklagt wurde, unterliegt er als streitgenössischer Nebenintervenient nicht den Schranken des § 67 Halbsatz 2 ZPO

Wird nach einem Verkehrsunfallgeschehen allein der Schadenverursacher verklagt, ist dessen Versicherer nach § 79 ZPO vom Verfahren ausgeschlossen, da die  Voraussetzungen des § 70 ZPO dann nicht vorliegen (siehe Captain-HUK ). Im Falle der Verurteilung des Versicherungsnehmers ist der Versicherer dennoch nach § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG zur Zahlung verpflichtet.

Ist bzw. hat ein Versicherer die Haftung dem Grunde nach erklärt, besteht demnach keine Notwendigkeit den Haftpflichtversicherer mitzuverklagen.

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS

VI ZR 201/10

vom
29. November 2011

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO §§ 61, 69; VVG § 115 Abs. 1

Beim Verdacht einer Unfallmanipulation darf der neben seinem Versicherungsnehmer verklagte Haftpflichtversicherer im Prozess sowohl als Streitgenosse als auch als Streithelfer nach §§ 61, 69 ZPO seine eigenen Interessen wahrnehmen.

BGH, Beschluss vom 29. November 2011 – VI ZR 201/10 – OLG Hamm
LG Essen

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. November 2011 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Zoll und Wellner, die Richterin Diederichsen und den Richter Stöhr

beschlossen:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision
in dem Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 6. Juli 2010 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Streitwert: 25.920,28 €

Gründe:

Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung darf der im Wege des Direktanspruchs
mitverklagte Haftpflichtversicherer (§ 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG) sowohl mit einem vom Vorbringen des Versicherungsnehmers abweichenden Sachvortrag die Unfallmanipulation geltend machen als auch als dessen Streithelfer eine Klageabweisung der gegen den Versicherungsnehmer gerichteten Klage beantragen.

Der Bundesgerichtshof hat in Verfahren, die den Ersatz von Rechtsanwaltskosten des Versicherungsnehmers betrafen, entschieden, dass es dem Haftpflichtversicherer in den Fällen der Unfallmanipulation wegen des bestehenden Interessengegensatzes zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Haftpflichtversicherer nicht verwehrt werden kann, sich gegen die gegen ihn gerichtete Klage umfassend zu verteidigen und zwar auch mit der Behauptung, das schadensbegründende Ereignis sei nicht – wie vom Geschädigten behauptet – unfreiwillig erlitten, sondern von den angeblich Unfallbeteiligten einvernehmlich herbeigeführt worden (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Juni 2010 – VI ZB 31/08, VersR 2010, 1472 Rn. 9 f.; BGH, Urteil vom 15. September 2010 – IV ZR 107/09, VersR 2010, 1590 Rn. 13 ff.).

Bei der neben der Klage gegen den Versicherungsnehmer auch gegen den Haftpflichtversicherer gerichteten Direktklage ergibt sich dies bereits dar-aus, dass es sich um einfache Streitgenossen handelt und die Handlungen des einen Streitgenossen dem anderen weder zum Vorteil noch zum Nachteil gereichen dürfen (§ 61 ZPO). Bei der Nebenintervention des Haftpflichtversicherers ergibt sich dies auch aus § 69 ZPO. Nach dieser Vorschrift gilt der Nebenintervenient im Sinne des § 61 ZPO als Streitgenosse der Hauptpartei, insofern nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts die Rechtskraft der in dem Hauptprozess erlassenen Entscheidung auf das Rechtsverhältnis des Nebenintervenienten zu dem Gegner von Wirksamkeit ist. Insoweit ist anerkannt, dass ein streitgenössischer Nebenintervenient nicht den Schranken des § 67 Halbsatz 2 ZPO unterliegt, sondern auch gegen den Willen der Hauptpartei ein Rechtsmittel durchführen kann. Das Gesetz räumt ihm mit Rücksicht auf die stärkere Einwirkung des Urteils auf seine rechtlichen Belange ein eigenes Prozessführungsrecht ein, das unabhängig von dem Willen der von ihm unterstützten
Hauptpartei ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 1984 – IVb ZB 23/84, BGHZ 92, 275, 276 mwN).

Diese Grundsätze sind auch im vorliegenden Fall anwendbar. Ein rechtskräftiges klageabweisendes Urteil, das zwischen dem klagenden Geschädigten und dem Versicherer ergangen ist, wirkt nach § 3 Nr. 8 PflVG a.F., § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG auch zugunsten des beklagten Versicherungsnehmers. Dies gilt auch dann, wenn der Direktanspruch und der Haftpflichtanspruch nicht in getrennten, nacheinander geführten Prozessen geltend gemacht, sondern – wie im Streitfall – Versicherer und Schädiger als einfache Streitgenossen gemeinsam im selben Rechtsstreit in Anspruch genommen werden. Zweck dieser Regulierung ist es, dem Geschädigten keine Ansprüche gegen den Versicherer über das materielle Haftpflichtrecht hinaus zuwachsen zu lassen. Ist in einem solchen Fall die Klageabweisung gegen einen Beklagten rechtskräftig, ist auch gegen den anderen regelmäßig nur noch eine Klageabweisung möglich. Der Haftpflichtversicherer soll nicht Gefahr laufen, trotz des für ihn günstigen, die Klage abweisenden Urteils im Falle der Verurteilung seines Versicherungsnehmers aufgrund seiner Zahlungspflicht aus dem Deckungsverhältnis doch noch in Anspruch genommen zu werden (vgl. Senatsurteil vom 15. Januar 2008
– VI ZR 131/07, VersR 2008, 485 Rn. 6 f. mwN). Gemäß dem Zweck des § 115
Abs. 1 Nr. 1 VVG, § 3 Nr. 8 PflVG a.F. darf der Haftpflichtversicherer, der zusammen
mit seinem Versicherungsnehmer in Anspruch genommen wird, auch vor Rechtskraft eines klageabweisenden Urteils bereits im Prozess seine eigenen Interessen nach §§ 61, 69 ZPO wahrnehmen.

Nach den vorstehenden Ausführungen durfte die Beklagte zu 2 nicht nur abweichend vom Beklagten zu 1 argumentieren, sondern auch als Streithelferin des Beklagten zu 1 ihm gegenüber eine Klageabweisung beantragen. Im Übrigen hat sich die Beklagte zu 2 mit diesem Antrag nicht einmal in Widerspruch zum Beklagten zu 1 gesetzt, weil dieser im Berufungsverfahren keinen Sachantrag gestellt hat.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 S. 2, 2. Halbs. ZPO abgesehen.

Galke                          Zoll                     Wellner                  Diederichsen                    Stöhr

Vorinstanzen:
LG Essen, Entscheidung vom 19.11.2009 – 4 O 163/08 –
OLG Hamm, Entscheidung vom 06.07.2010 – I-9 U 34/10 –

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